“DeFi in Europa hat praktisch keine Lobby”

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Ende März stimmten der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) und der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments für die Transfer of Funds Regulation (kurz TFR), bei der es um Maßnahmen zur Geldwäschebekämpfung (AML) geht. Sollte dieser Regulierungsvorschlag in den kommenden Monaten nach dem Trilog zwischen dem EU-Parlament, der EU-Kommission und dem Ministerrat verabschiedet werden, würde das strenge Auflagen im Zusammenhang mit der Offenlegung von Transaktionen zwischen Unhosted Wallets (mit solchen Wallets behalten Besitzer selbst volle Kontrolle über ihre Private Keys und somit über ihre Assets) und Kryptobörsen in der Europäischen Union nach sich ziehen. 

In der Folge können Geschäftsmodelle europäischer Krypto-Anbieter stark eingeschränkt, wenn nicht sogar zunichte gemacht werden. Insbesondere aber kann diese Regelung aber den Markt der Decentralized Finance, kurz DeFi, betreffen. Dienstleister müssen Transaktionen von und zu Unhosted Wallets aufzeichnen und überprüfen. In der Praxis lässt diese Regelung sich de facto als ein Verbot von Hardware Wallets interpretieren. 

Die deutsche Community will dazu nicht schweigen und hat einen offenen Brief an EU-Entscheidungsträger verfasst, den Unterstützer unterschreiben können. Einer der Initiatoren ist Peter Grosskopf von Unstoppable Finance, der seit 2017 eher als Mitgründer der Solarisbank bekannt ist. Bevor er sein eigenes DeFi-Projekt 2021 zusammen mit Maximilian von Wallenberg und Omid Aladini gründete, war Grosskopf als CTO bei der Börse Stuttgart Digital Exchange tätig. 

Cointelegraph auf Deutsch hat mit Peter Grosskopf auf der Crypto Assets Conference in Frankfurt darüber gesprochen, was genau den ehemaligen Mitarbeiter einer zentralisierten Börse an DeFi fasziniert, was der Experte im Bereich Fintech von den geplanten Vorschriften zur Geldwäschebekämpfung im Kryptobereich hält und wie die DeFi-Community in Deutschland sich gerade fühlt.

Cointelegraph auf Deutsch: Du hast bei deiner Paneldiskussion erwähnt, dass dein Projekt Unstoppable Finance DeFi unter die Masse bringen will. Was hast du damit gemeint?

Peter Grosskopf: Ja, stimmt, wir wollen DeFi zur Masse bringen. Was bedeutet das? Wenn man sich den DeFi-Bereich anschaut, sieht man, dass das ein sehr technisches Thema ist. Wir haben Lösungen, das heißt Finanzanwendungen, die von Technikern für Techniker entwickelt worden sind, in technischer Sprache und mit Fachbegriffen. Man muss schon Blockchain-Experte sein, um da durchzusteigen, wenn man sich Protokolle und Internetseiten anschaut. Das alles ist sehr technisch und nicht für Kunden gedacht, die einfach Zugang zum DeFi-Bereich haben wollen. 

Wir können aber Finanzdienstleistungen anbieten, die einfach und effizient sind, vollständig automatisiert, dadurch auch günstig, die uns höhere Zinssätze bieten als die traditionelle Finanzwelt. Es geht darum, ein einfaches Produkt zu schaffen und Menschen diese Vorteile zu erklären. Die meisten Non-Custodial Wallets, sind aber gar nicht benutzerfreundlich, und unser Ziel ist es, die Leute an die Hand zu nehmen und zu zeigen, wie das Ganze funktioniert, welche Protokolle sie benutzen können, weiche einigermaßen sicher, günstig und etabliert sind. 

CT: Wie soll dann die Wallet aussehen, damit sie von der Massen ganz einfach verwendet werden kann?

PG: In meinen Augen muss die beste Wallet ein Produkt sein, wo man kaum sieht, dass die Blockchain dahinter liegt. So wissen wenige Menschen, wie ein Automotor funktioniert. Man steigt in das Auto ein und sieht ein Lenkrad, Gaspedal und Bremse. Das war’s. Auf vielen Blockchain-Produkten steht immer noch dick und breit „Blockchain“ und “Krypto” drauf und das schreckt viele Menschen ab, weil sie sagen, okay, ich verstehe das jetzt erstmal nicht, dann ich guck mir es lieber irgendwann später nochmal an.

CT: Was fasziniert dich persönlich an der DeFi am meisten?

PG: Fast alles, was wir heute mit einer Bank machen, können wir auch selbst mit DeFi-Anwendungen schaffen. Es entsteht eine ganz neue moderne und globale Infrastruktur, die nicht nur in Europa, Nordamerika oder Asien operabel ist, sondern weltweit. Die Token haben eine gewisse Interoperabilität, also die Fähigkeit, verschiedene Systeme, möglichst nahtlos zusammenarbeiten zu lassen, und dadurch funktioniert das neue globale Finanzsystem einheitlich und gleichzeitig dezentral. Das wird die traditionelle Finanzwelt niemals hinkriegen. 

Ich bin begeistert von der Idee, dass die DeFi komplett in Code geschriebene Finanzdienstleistungen sind. Man kann Finanzdienstleistungen komplett automatisieren und den Menschen als manipulativen Faktor herausnehmen. Ich kann mir selbst dank Smart Contracts alles anschauen, inspizieren, auditieren und überprüfen, ob alles, was mir versprochen wurde, tatsächlich geleistet wird. 

CT: Wie geht es momentan dem europäischen DeFi-Markt? Gibt es irgendwelche Barrieren, die verhindern, dass die DeFi massentauglich wird? 

PG: Vor allem hat der europäische DeFi-Markt Probleme auf politischer Ebene und einen Mangel an Überzeugungsarbeit. Als Ergebnis haben wir diese EU-Parlamentsabstimmung über die Transfer of Funds Regulation, die wir für unfair halten, weil Krypto strengere Regeln bekommt als die traditionelle Finanzindustrie.

Die Politiker sind Volksvertreter, die werden von Leuten gewählt, um unsere Wünsche, Interessen und Meinungen zu vertreten. Aber die DeFi hat praktisch keine Lobby und deswegen hat kaum jemand mit Politikern darüber gesprochen, wie der DeFi-Bereich sich bewegt und welche Vorteile dezentrale Finanzsysteme mit sich bringen können. Jetzt aber Schluss damit. Die DeFi-Player, Creators, Protokoll-Entwickler aus Europa müssen aktiver werden und sich zeigen.

Wenn die Regulatoren besser verstehen würden, was für Vorteile DeFi hat – durch vollkommen transparente Dokumentation von Transaktionen, die öffentlich abrufbar sind und statisch inspiziert und auditiert werden können, dann würden sie anders denken. Ja, es gibt Themen, an denen man noch arbeiten muss, zum Beispiel Benutzerfreundlichkeit oder Verbraucherschutz, aber wir müssen mit Regulatoren und Politikern erstmal überhaupt anfangen zu sprechen und sie überzeugen, dass DeFi transparent und nachvollziehbar und dadurch weniger anfällig für politische oder unternehmerische Einflussnahme und Korruption ist.  

CT: Weil wir gerade über diese Abstimmung über Transfer of Funds gesprochen haben, was denkst du, wie es weitergehen wird? Kann man die Ergebnisse der Abstimmung irgendwie anfechten?

PG: Es geht jetzt Richtung Trilog, wo Konsultationen zwischen dem Parlament, der Kommission und dem Rat, wo die Mitgliedstaaten vertreten sind, stattfinden. Um ihre endgültige Entscheidung zu beeinflussen, müssen wir auf der einen Seite Vertreter der einzelnen Mitgliedstaaten von DeFi-Vorteilen überzeugen, damit sie gegen diese Regulierung stimmen. Auf der anderen Seite muss man dasselbe mit dem Parlament und einzelnen Fraktionen machen. Es gibt verschiedene Organisationen wie “Blockchain for Europe”, die sich aktiv engagieren, und Branchenverbände, die unsere Industrie im Großen und Ganzen vertreten – und sie alle müssen jetzt etwas dazu sagen. 

Zuerst war die Community sehr enttäuscht von den Ergebnissen der Abstimmung, aber inzwischen herrscht eine produktive Stimmung, dass wir jeden davon überzeugen wollen, welche Chancen DeFi bietet.  Aber, ehrlich gesagt, ist der DeFi-Space ganz neu und in Blockchain-Verbänden kaum vertreten. Deswegen werden wir versuchen, uns Gehör zu verschaffen. 

CT: Du sprichst oft über die Überzeugungsarbeit seitens der Community. Welche Lösungen siehst du noch, wenn die TFR doch in Kraft tritt?

PG: Ich bezeichne mich seit Jahren als Krypto-Realist, weil ich mit meiner Vorgeschichte mit der Solarisbank sowohl die alte als auch die neue Welt gut kenne. Ich finde, die Regulierung wird insgesamt mit der Verordnung um Kryptowerte herum, Transfer of Funds und mit der MiCA-Regulierung strikter und strikter. Und das passiert nicht nur im Krypto-Bereich. Als Krypto-Realist finde ich, dass wir uns als Community proaktiv aufstellen und eigene Lösungen produzieren müssen, bevor wir sie von jemandem von außen aufgezwungen bekommen. 

Nehmen wir digitale Identität, die eine Person oder Organisation im digitalen Raum repräsentiert. Ich könnte mir gut vorstellen, dass jetzt in einer Unhosted Wallet eine Form von digitaler Identität gespeichert sein könnte. Das könnte auch eine abgeleitete Identität sein. Hier braucht man aber einen Akteur, der prüft, ob diese Identität tatsächlich erstellt wurde und ob sie legitim ist. 

Und in meinen Augen bedarf es solcher Lösungen: Mit Technik auf regulatorische Anforderungen zu reagieren und nach Möglichkeit unsere Standards der DeFi-Industrie selber zu definieren. 

CT: Wäre es für DeFi-Projekte nicht einfacher, zum Beispiel in die Schweiz umzuziehen und sich dort niederzulassen?

PG: Die neue “Transfer of Funds”-Regulierung wird europäische Projekte bei der Entwicklung hemmen und dadurch wird weniger Kapital in den DeFi-Markt rein fließen. Das wird zu weniger Wachstum im DeFi-Bereich führen und wird Europa als Markt weniger attraktiv machen. Langfristig sehe ich nur negative Auswirkungen: Kunden werden verstärkt zu ausländischen Anbietern gehen, was verheerende Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Dienstleister haben wird. Es spielt schließlich eine große Rolle, wo neue Unternehmen aufgebaut werden und wo die dann tatsächlich sitzen. 

Die Schweiz ist noch naheliegend, ich denke, unter Umständen werden mehr Unternehmen außerhalb Europas gegründet. Dann erreicht die europäische Politik das genaue Gegenteil: der DeFi-Markt liegt dann außerhalb des Einflussbereichs der europäischen Politik und hier sehe ich potenziell nur negative Folgen für das Ziel der Geldwäschebekämpfung. 

CT: Kryptobörsen und andere Dienstleister sollen laut EU-Entwurf bei allen Krypto-Transaktionen persönliche Daten von Sender und Empfänger prüfen und dokumentieren. Was hältst du davon?

PG: In der traditionellen Finanzwelt gibt es Geldwäscheverdachtsanzeigen, das heißt, Transaktionen werden gemeldet, wenn ein Geldwäscheverdacht besteht. Nicht jede Transaktion, sondern nur die, bei denen Verdacht besteht. Und was machen sie bei Krypto? Jede Transaktion ab 1.000 Euro muss gemeldet sein. Wenn ich mir in Zukunft zum Beispiel einen Apple-Laptop mit Krypto kaufe, halte ich das für sinnlos, wenn diese Transaktion gemeldet werden muss. Hier sehe ich nur einen Eingriff in meine Privatsphäre, weil wieder Daten vollkommen unnötig gesammelt werden.

Einen Laptop zu kaufen ist nichts Kriminelles oder Verdächtiges. Aber allein die Tatsache, dass jeder Kauf eines Objekts oder einer Dienstleistung mit einem Wert von über 1.000 Euro irgendwo gelistet wird, mitsamt meinem Namen und meinen ganzen Kontaktdaten, meiner Meldeadresse, finde ich absurd. Diese Daten können irgendwem in die Hände fallen, einem Hacker oder irgendwelchen Kriminellen, dann können sie analysieren, was man so besitzt und wie die Adresse lautet.

Aus Datenschutzperspektive halte ich deswegen die TFR unsinnig. Die bringt auch nichts im Hinblick auf  Geldwäscheprävention. Sie wollen uns damit schützen, aber sie tun genau das Gegenteil.




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